Über die Frage, ob Menschen "mit Migrationshintergrund" häufiger an seelischen Krankheiten leiden als der Durchschnitt der Frauen und Männer in Deutschland, gibt es bisher nur widersprüchliche wissenschaftliche Aussagen. Sicher aber ist, dass sie größere Hindernisse zu überwinden haben, um angemessen behandelt zu werden. In einem internationalen Forschungsprojekt werden nun die Hintergründe genauer untersucht, um diese Situation zu verbessern. Denn seelische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung zur Integration.
In Deutschland leben fast 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Sie haben mit vielfältigen seelischen Belastungen zu kämpfen: Sie haben ihre Heimat verlassen, müssen sich in einer anderen Kultur zurecht finden, haben meist Sprachprobleme und erfahren oft Ablehnung und Ausgrenzung. Dies alles kann auch zu seelischen Störungen führen. Für Menschen, die darunter leiden, ist es schwieriger, sich in einer neuen Gesellschaft zu integrieren.
Diese Zusammenhänge sind bisher jedoch nur in Ansätzen erforscht. Der erste Schritt der internationalen Studie zu Migration und seelischer Gesundheit besteht deshalb darin, die Häufigkeit psychischer Krankheiten in einer repräsentativen epidemiologischen Erhebung zu erfassen. Untersucht wird beispielhaft die bundesweit größte Migrantengruppe, nämlich Menschen, die ursprünglich aus der Türkei stammen.
An der Internationalen Studie zur "Psychosozialen Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund und zur kulturellen Öffnung des psychosozialen Versorgungssystems"* sind beteiligt:
- Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité - Universitätsmedizin Berlin (Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Heinz, Studienleitung: Dipl.-Psych. Ulrike Kluge)
- Die Arbeitsgruppe Psychosoziale Migrationsforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Projektleitung: PD Dr. Holger Schulz, Studienleitung: Dipl.-Psych. Mike Mösko)
- Die Klinik für Psychiatrie der Marmara-Universität Istanbul (Projektleitung: PD Dr. Kaan Kora). Das Projekt wird von der Volkswagen-Stiftung finanziell gefördert und ist auf drei Jahre angelegt.
Bei der rein statistischen Erfassung wird es jedoch nicht bleiben.
Im Weiteren geht es darum, die Situation von Migrantinnen und Migranten auch im Hinblick auf ihre seelische Gesundheit zu verbessern, ihre Chancengleichheit zu gewährleisten und somit einen wichtigen Beitrag zur Integrationsfähigkeit zu leisten.
Deshalb untersuchen die Forscher außerdem die Barrieren, aber auch die ungenutzten Ressourcen, die Migrantinnen und Migranten in Deutschland haben, wenn sie Hilfsangebote in Deutschland wahrnehmen wollen.
In einem nächsten Schritt werden Qualitätsstandards dafür erarbeitet, um das psychosoziale Versorgungssystem für Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund zu öffnen. Wie solche Standards umgesetzt werden können, wird beispielhaft in zwei Berliner Bezirken untersucht werden.
Schließlich wird ein standardisiertes Trainingsprogramm zur Steigerung der "interkulturellen Kompetenz" von Mitarbeitern in psychosozialen Einrichtungen erarbeitet und auf seine Wirksamkeit überprüft.
An der Studie wirken Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Ethnologen und Soziologen aus den genannten Universitäten mit. Schwerpunkt der Untersuchung mittels verschiedener Forschungsmethoden sind Berlin und Hamburg. Die Studiengruppe wird unterstützt durch ein externes Beratungsgremium, in dem gesellschaftlich relevante Gruppen sowie Migranten- und Gesundheitsorganisationen vertreten sind. Ferner gibt es einen international besetzten wissenschaftlichen Beirat.
Weitere Informationen
Meldung von Justin Westhoff, MWM-Vermittlung Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, vom 10.03.2010.